Kurz:

Oh mein Gott! Eine wahnsinnige Krankenschwester macht uns wahnsinnig.

Lang:

Die sozial distanzierte Maud (Morfydd Clark) führt ein spartanisches Leben und ist mit wenigen Dingen sehr zufrieden. In einer engen Einzimmerwohnung haust die ehemalige Krankenschwester und betet brav, denn der Glaube an den lieben Gott im Himmel scheint ihr einziger Halt zu sein. Ihre Liebe zum Allmächtigen wiederspielgelt sich auch in ihrer Tätigkeit, der sie in einem englischen Küstenkaff eifrig nachgeht.

Die frühere Choreografin und gut betuchte Amanda (Jennifer Ehle) ist sterbenskrank und auf die tägliche Unterstützung von fremden Händen angewiesen. Maud kümmert sich liebevoll um sie und versucht das tägliche Leiden erträglicher zu machen. Für Maud ist diese Arbeit erfüllend und vor allem sinngebend. In Einklang mit Gott und sich selber scheint ihr Seelenheil auf dem höchsten Level angekommen zu sein. Doch schnell wird klar, dass da trotzdem noch Luft nach oben ist.

Als die junge Pflegerin mitansehen muss wie Amanda sich klammernd an die letzten Funken des Lebens hält, fremde Gäste das Anwesen besuchen und noch eine körperliche Liebe zu einer Frau geschieht, sieht Maud darin ein sündiges Vergehen, dem Einhalt gewährt werden muss. Die Frage ist nur wie weit sie gehen wird, um dafür zu sorgen, dass ihre Patientin eines Tages mit reiner Seele vor den Herrn treten kann.

Frech aber genial

Regisseurin und Drehbuchautorin Rose Glass präsentiert mit „Saint Maud“ ihren ersten Spielfilm, dem vor allem Kurzfilme aus dem Horror- und Fantasy-Genre vorangegangen sind. Das Horror-Genre ist ihr also keineswegs unbekannt. Im Gegenteil. Schon in den ersten Minuten wird klar, dass Rose Glass ihr Handwerk besser versteht als viele ihrer männlichen Konkurrenten, die ohne Effekthascherei kaum überleben können.

Die Kamera bleibt über weite Strecken distanziert, zieht sich aktiv zurück, um den Figuren ihre nötigen Räume voller Symbolismus zu geben. Und wenn oben plötzlich unten ist, bläst sich die bedeutungsschwangere Filmsprache noch zusätzlich auf und verzückt uns. Die Erwartungshaltung steigt, kocht über und dann geschieht einfach nichts. Rose Glass spielt mit uns, macht uns neugierig, hält uns fest und lässt uns dann wieder plump auf den Boden fallen. Und das tut sie immer und immer wieder. Das ist frech aber auch genial.

Nein, viel passiert in diesem Film nicht. Die Zuschauenden müssen sich die Geschichte zwischen den Zeilen selber zurechtrücken. Mauds Abstieg in ihre Seele, die dahinter steckende wahre Motivation und die damit verbundene kompromisslose Religions-Huldigung geschieht still, leise und langsam. Wenn fremde Bildfetzen aufblitzen, wenn die filmische Realität durchbrochen wird, bleibt die Ungewissheit, ob wir einer Wahnvorstellung beiwohnen oder wir im Naturalismus feststecken. Auch das ist frech aber auch wieder genial.

Bei dieser subjektiven Entscheidungsfindung können uns auch die oft tiefen Töne, die in der Bauchgegend spürbar herumtanzen nicht weiterhelfen. Wie beim Kollegen David Lynch brodelt es gewaltig im Untergrund. Verstörende Soundfetzen kommen manchmal laut aus den Poren, bleiben mal leise zärtlich im Hintergrund stehen nur um uns aufs Neue zu verunsichern und zu verwirren. Und wieder spielt sie mit unseren Erwartungshaltungen und rüttelt an unserem Nervenkostüm. Frech aber eben genial.

Nur eines ist von Anfang an gewiss: Es wird eskalieren. Es muss eskalieren. Doch wann und wie der Ausbruch stattfinden wird, das ist das grosse Geheimnis von „Saint Maud“.

Fazit:

Zäh aber grossartig. „Saint Maud“ braucht Geduld. In der ersten Hälfte dieses psychologisierten Horrorfilms passiert nicht viel. In der zweiten auch nicht, doch die Dichte nimmt zu und legt ein grosses Gewicht auf den Film, das nur durch die versprochene Ekstase aufgelöst werden kann. Der Weg dorthin ist zäh aber auch grossartig, weil Regisseurin Rose Glass mit unseren Erwartungshaltungen spielt und den Horror zwischen die Zeilen schiebt, wo er wuchert und uns an den Rand der Toleranz treibt. Wer sich darauf einlässt wird zwar mit Fragen zurückgelassen, erfährt aber dennoch eine wahrlich göttliche Erlösung.

4 Kreuze von 5

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