What’s a deepdive?

In der Rubrik “Deepdive” präsentiere ich euch vertiefte Einblicke in ausgesuchte Filmperlen. (Bestens geeignet für ausgedehnte Toilettengänge wissbegrieriger Filmfreaks.) Die Texte beziehen sich auf Szenen, dramaturgische Entwicklungen, Charaktere und technische Umsetzungen. Im Detail. Heisst, du begibst dich in Spoiler-Territorium.

Ganz viele weitere, ordentlich und mit viele Liebe zum Horrorfilm angeordnete Buchstaben, findest du auch bei meinem “Dokument des Grauens”. So – und jetzt wünsch ich dir einen netten Tauchgang. Bei Fragen: jederzeit

Hellraiser

Die Story

Frank Cotton (Sean Chapman) ist vom Leben angeödet. Er befindet sich auf der Suchen nach neuen Freuden, die er erfahren könnte. Ein Händler in Asien bietet ihm einen Würfel zum Kauf an, welchen Frank sich auch aneignet. Dieser Würfel, genannt Lament Konfiguration, erweckt den Eindruck eines Puzzles, welches sich zu beliebigen Formen umbauen läßt. Wenn dieses Puzzle gelöst wird, sollen die größten denkbaren Freuden die Belohnung sein.
Was Frank nicht weiß: Der Händler ist kein normaler Händler, sondern fungiert als Wächter. Seine Aufgabe ist es, Seelen ausfindig zu machen, die zum Lösen des Puzzles geeignet sind. Denn die Lament Konfiguration öffnet das Tor zur Hölle.

Frank kehrt zu seinem Anwesen in London zurück, begibt sich in den Speicher seiner Wohnung und beginnt, die Lament Konfiguration zu lösen. Er schafft es auch. Die Lament Konfiguration öffnet das Tor und beschwört die Cenobites – „Erkunder der äußeren Regionen der Erfahrung. Engel für einige, Dämonen für andere“. Sie bieten eine Erfahrung jenseits aller Grenzen der Vorstellungskraft, „Qual und Freude, ununterscheidbar“. Sie sind gekommen, um Frank seine neuen Freuden zu bringen, die Freuden unaussprechlichen Leids. Dies ist ihre Aufgabe; wer die Lament Konfiguration löst, hat Anspruch auf diese Erfahrung und die Cenobites können nur dann in die Hölle zurückkehren, wenn sie eine neue Seele mit sich bringen. Dementsprechend wird Frank unaussprechliche Qualen erleiden: Mit Widerhaken versehene Ketten schießen aus dem Würfel, bohren sich in seinen Körper, Frank wird zerfetzt.

Einige Zeit später kehrt Franks Bruder Larry (Andrew Robinson) mit seiner zweiten Frau Julia (Claire Higgins) und seiner Tochter aus erster Ehe Kirsty (Ashley Laurence) in dieses Haus zurück. Larry und Frank wuchsen hier auf und nach dem Tod der Mutter wurde es nicht mehr großartig genutzt, weshalb Larry nun hier einzuziehen gedenkt. Das Haus ist in einem miserablen Zustand und trägt Zeichen, daß Frank sich vor nicht allzu langer Zeit hier aufgehalten hat. Frank schien recht überstürzt verschwunden zu sein – seine persönlichen Gegenstände sind noch vorhanden, in der Küche stehen noch Essensreste auf dem Tisch herum, welche mittlerweile vor Maden nur so wimmeln. Julia erinnert sich sehr intensiv an Frank: kurz nach ihrer Hochzeit mit Larry erlag sie Franks animalischen Charme, landete mit ihm im Bett und kann sich bis zum heutigen Tag seiner Ausstrahlung nicht verwehren, sie ist selbst gegenüber der Erinnerung an ihn hörig.
Beim Möbelschleppen während des Einzugs passiert Larry ein Mißgeschick: er reißt sich an einem hervorstehenden Nagel den Handrücken auf. Er kann kein Blut sehen und begibt sich mit wankenden Knien zu Julia, welche sich gerade in der Dachkammer aufhält. Dort tropft Blut von Larrys Hand auf den Boden, und das Unheil beginnt – unter den Bodenbrettern befindet sich nach wie vor ein kleiner Fetzen von Frank, welchen die Cenobites beim „Aufräumen des Saustalls“ übersehen haben. Durch das Blut regeneriert sich Frank, erwacht wieder zum Leben.
Später, am Abend, feiern die Cottons eine Einweihungsparty im kleinen Kreis. Julia möchte zu Bett gehen, verabschiedet sich. Doch im Schlafzimmer kommt sie so schnell nicht an, da Geräusche auf dem Dachboden ihre Neugier wecken. Dort werden ihre schlimmsten Alpträume wahr: sie findet eine Kreatur vor, welche an einen Menschen erinnert – allerdings einen Menschen ohne Haut und offenliegenden Knochen. Die Kreatur offenbart sich ihr als Frank, und nachdem ihr erster Schock abgeklungen ist, bittet Frank sie um ihre Hilfe. Frank braucht Blut, um wieder eine akzeptable menschliche Form annehmen zu können – das Blut von Larry diente als Auslöser, für eine vollständige Regeneration war es jedoch bei weitem zu wenig.

Kirsty, beschwipst wie eine Elster, bandelt auf der Party mit Steve (Robert Hines), dem Sohn der eingeladenen Gäste an und begibt sich mit ihm auf einen Spaziergang. Unterwegs wird sie auf einen Bettler aufmerksam, der sie unverhohlen anstarrt. Der Wächter der Lament Konfiguration wird auf sie aufmerksam.

In der Nacht krabbelt Julia aus dem Bett, begibt sich zu Frank und willigt ein, ihm zu helfen. Kirsty hat parallel einen Alptraum: Sie sieht sich an einem Totenbett, darauf ein Körper, von Laken verhüllt. Das Laken färbt sich blutrot und Kirsty erkennt den Körper als den ihres Vaters.

Der nächste Tag: Julia beginnt damit, ihr Versprechen einzulösen. Während Larry bei der Arbeit ist, begibt sie sich auf Tour und reißt sich einen Mann auf, indem sie eine schnelle Nummer in ihrer Wohnung in Aussicht stellt. Dieser wundert sich zwar ein wenig, weshalb Julia es unbedingt auf dem Dachboden mit ihm treiben will, aber hin und wieder regiert eben die Libido und nicht der Verstand. Sein Fehler, denn Julia zieht ihm prompt einen Hammer über den Schädel und das letzte, was er in seinem Leben sieht, ist Frank. Nach dem Genuß des frischen Blutes geht es Frank auch sichtlich besser. Erste Muskelfasern bilden sich, er ist dem Menschsein ein Stück nähergekommen. Aber eben nur ein Stück, er braucht Nachschub. Dieser wird auch prompt angeliefert, noch am gleichen Nachmittag. Am Abend weiht Frank Julia in die Geschehnisse ein und zeigt ihr die Lament Konfiguration.

Larry wird zum Problem. Er hat keine Ahnung, was in seinem Haus während der letzten 24 Stunden vorgefallen ist, merkt jedoch, daß irgendetwas nicht stimmt. Nur mit Glück entgeht Frank einer Entdeckung – er nagelt eine Ratte an die Wand, so daß Larry aufgrund ihres Gepiepses die ganzen Geräusche vom Dachboden auf Ratten schiebt. Frank macht jedoch keinen Hehl daraus, daß er Larry beseitigen möchte: als Larry und Julia des Nachts miteinander schlafen und Larry gerade schnaubend auf ihr herumrutscht, tritt er leise, ein Messer in der Hand haltend und nur für Julia sichtbar aus dem Wandschrank hervor und nähert sich dem ehelichen Bett. Er tötet Larry nicht sofort, sondern zerschneidet als Warnung lediglich den Körper der mittlerweile toten Ratte. Larry kriegt davon überhaupt nichts mit und denkt, es läge an ihm, daß Julia urplötzlich ausgesprochen frigide wird.

Am dritten Tag besorgt Julia erneut einen Freier. Sie wird dabei jedoch von Kirsty beobachtet, welche ihre Stiefmutter sowieso nicht sonderlich leiden kann. Und ausgerechnet dieser Mord geht nicht einwandfrei über die Bühne, der Schädel des Opfers erweist sich als ausgesprochen resistent gegen Schläge mit einem Hammer und Frank muß sich selbst der Sache annehmen. Kirsty hört die Schreie des Opfers und wird Zeuge des Geschehens. Sie entwischt Frank und stiehlt ihm die Lament Konfiguration.

Ziemlich fertig mit den Nerven wird sie auf der Straße aufgegriffen und landet in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses. Dort hat sie genug Zeit, um sich mit dem eigenartigen Würfel zu befassen. Sie öffnet das Tor und Kirsty betritt den altertümlichen Gang, der sich ihr offenbart. Dort macht sie die Bekanntschaft des Engineers, eines Salamander-ähnlichen Dämons mit scharfen Zähnen und dornbewehrter Schwanzspitze, welcher sie aus seinem Reich zurück in ihr Krankenhauszimmer jagt. Dort schließt Kirsty Bekanntschaft mit den Cenobites. Da Kirsty das Puzzle gelöst hat, wollen die Cenobites sie holen. Kirsty schafft jedoch, dem Tod vorübergehend zu entgehen, indem sie den Cenobites mitteilt, daß Frank ihnen entwischt ist.
Kirsty flieht aus dem Krankenhaus und begibt sich aus Sorge um ihren Vater zurück zum elterlichen Haus. Sie findet ihn dort in bester Verfassung vor – offensichtlich hat Larry die Sache noch gut überstanden, er kann sogar Franks Leiche präsentieren. Kirsty würde sich damit zufriedengeben, würde ihr Vater nicht andauernd Redewendungen benutzen, welche Franks Markenzeichen waren …

Clive Barker

Da war es mal wieder passiert: Ein Schriftsteller, der sich nicht nur damit begnügt, Drehbücher für Filme zu schreiben, sondern auch noch zum Regiestuhl greift. Eigentlich ist dies die beste Voraussetzung für einen grauenhaft schlechten Film, wie es beispielsweise Barkers Kollege Stephen King mit dem Machwerk Maximum Overdrive demonstrierte. Die Erwartungen dürften also recht niedrig gesteckt sein.

Clive Barker ist Engländer, geboren 1952 in Liverpool. Er begann seine Karriere mit dem Schreiben von Theaterstücken, vornehmlich Komödien und Historienspiele. Als Autor von Büchern trat er 1984 ins Rampenlicht, als sein erster Band der Kurzgeschichtensammlung Books of Blood das Licht der Welt erblickte. Diese schlugen in der Welt der phantastischen Literatur ein wie eine Bombe (Band 1 bis 3 wurden mit dem World Fantasy Award, eine Geschichte aus dem ersten Band mit dem British Fantasy Award ausgezeichnet) und erschütterten vor allem das Genre der Horrorliteratur in ihren Grundfesten. Dieses wurde bislang größtenteils von Autoren wie Stephen King, Dean R. Koontz und Peter Straub getragen und der Neuling Clive Barker schlug nicht nur einen neuen Weg innerhalb dieses Literaturzweigs ein, sondern degradierte die bisherigen großen Autoren hinsichtlich ihrer Erzählweise völlig.

Stilistisch erschien Barker ihnen haushoch überlegen (seine Erfahrungen aus seiner Zeit als Autor für’s Theater machte sich hier bemerkbar), seine an Metaphern reiche und blumige Sprache legte in künstlerischer Hinsicht eher einen Vergleich mit Literaten wie Edgar Allan Poe oder Lord Byron nahe, als den mit moderneren Schriftstellern. Barker war auch in der Lage, seinen Schreibstil dem Geschehen und allgemeinen Tenor seiner Geschichten anzupassen, anstelle den gegenteiligen Weg einzuschlagen. Auch inhaltlich eröffnete er dem Horror eine neue Dimension.

Was andere sich nicht zu schreiben trauten, war für Barker schon beinahe selbstverständlich: bluttriefende und ekelerregende Darstellungen schrieb er nicht nur konsequent nieder, sondern legitimierte sie durch seinen überlegenen Schreibstil auch als anspruchsvolle Literatur und nicht nur als obszöne Effekthascherei. Stephen King zeigte sich als äußerst beeindruckt und bezeichnete Barker als „die Zukunft des Horrors“.

Barkers Geschichten (und ebenso seine späteren Werke in Romanform) waren jedoch keine blutigen Schlachtfeste, wie es den Eindruck erwecken könnte; ja eigentlich entfernen sie sich oftmals weit vom Genre des Horrors und man assoziiert sie ebenso mit märchenhaften Gemälden fiktiver Welten in Art eines immerwährenden Traumes. Clive Barker kann Gewalt auf brutalste und realistischste Art und Weise schildern, ebenso harten Sex in all seiner Vulgarität, doch sein Hauptthema sind stets Phantasiegebilde, durch welche er von den Wundern der Welt erzählt, in einer Intensität und blumenreichen Sprache, welche eine Marion Zimmer Bradley vor Eifersucht rot anlaufen lassen könnte – und ebenso erzählt er auch stets von den Wundern surrealen Schreckens. Hierbei kennt er keine Grenzen und einige seiner Werke sind für den Leser auch schwer verdaulich. Dieser unverwechselbare Stil könnte neben seinen literarischen Anfängen auch in seiner Homosexualität begründet sein, doch letztendlich handelt es sich bei Clive Barker um einen begabten Mann mit außergewöhnlich ausgeprägter Phantasie und dem Hang, Regionen zu erforschen, an welche sich noch kein Literat vor ihm gewagt hat. Seine Werke sind zum größten Teil unverfilmbar, wodurch es als geradezu paradox erscheinen mag, daß dieser Mann sich dazu entschließt, eine seiner eigenen Geschichten zu verfilmen. Dies macht jedoch auch neugierig, wie ein Film von Clive Barker denn aussehen könnte.

Der Film

Hellraiser ist kein surreales übernatürliches Epos, wie man es aus den Romanen von Clive Barker (zum Beispiel Weaveworld oder The Great and Secret Show) eigentlich erwarten würde. Doch auch bei Hellraiser ist die Handlung in bester Barker-Tradition völlig abgedreht und absolut daneben.

Kennt man den Film nicht und liest sich eine Beschreibung des Inhalts durch, hat man in der Regel den Eindruck, man hätte es mit den Ergüssen eines Idioten zu tun. Hier findet man zwar keine rappeldürren Magier vor, welche auf ihre Fäkalien onanieren und aus dem Gemisch mordende Kreaturen wachsen lassen (The Great and Secret Show), aber auch die Tatsache, daß man es hier mit einem Puzzle zu tun hat, welches das Tor zur Hölle öffnet und neben einer Heerschar von Dämonen auch noch unendliche Schmerzen beinhaltet, erscheint als heftigst an den Haaren herbeigezogen. Dementsprechend ist es bei der Verfilmung eines Stoffes von Barker extrem wichtig, nicht nur die Handlung auf Zelluloid zu bannen, sondern auch den Flair und die Stimmung rüberzubringen.

Das Problem, seinen unverwechselbaren Stil auch in einem Film zu verwirklichen, hat Clive Barker recht gut gelöst. In einem Gebiet hat er sogar Pionierarbeit geleistet, nämlich in den Darstellungen von Gewalt in Mainstream-Produktionen. Wo andere Regisseure dezent die Kamera zur Seite schwenken und die letzten Details der Phantasie des Zuschauers überlassen, hält Barker erst richtig voll drauf. Die Ketten mit den Haken an ihren Enden bohren sich nicht nur in Frank hinein, wie man es aus anderen Produktionen des Mainstream-Kinos kennen dürfte; Barker zeigt in Großaufnahme, wie die Haken die Haut aufspießen und vom Fleisch lösen. Er filmt, wie er schreibt. Und, was bei einem solchen Film sehr wichtig ist und vor Hellraiser bei Gewaltdarstellungen in diesem Maße eigentlich nie konsequent praktiziert wurde: Barker inszeniert die Gewalt nicht um ihrer selbst willen. Barker schockiert nicht, indem er den Zuschauer einfach brutalen oder ekelhaften Bildern aussetzt, wie es beispielsweise ein Lucio Fulci praktizierte. Barker schockiert, indem er den Zuschauer die Ketten in Gedanken am eigenen Leib spüren läßt. Seine Gewaltdarstellungen üben eine faszinierende Anziehungskraft aus. Letztendlich zeigt er nicht die Gewalt – Barker inszeniert den Schmerz.

Hinzu kommt noch ein künstlerisches Ambiente. Wenn nach dem Tod von Frank die Ketten von der Decke baumeln, Fleischfetzen hängen noch an den Haken und ebenso an den Foltersäulen (rotierende Säulen mit quadratischer Grundfläche, übersät mit Haken, Stacheln und eingeritzten Symbolen), der Boden noch übersät ist mit kleinsten unkenntlichen menschlichen Überresten und dazwischen die Cenobites stehen, fühlt man sich an die schlimmsten Alpträume eine Hieronymus Bosch oder Dante erinnert und ist fasziniert von der visuellen Kraft der Szenerie.

Schon die in schwarzes, drapiertes Leder gehüllten Cenobites sind eine Augenweide und strahlen ein Feuerwerk an Ideenreichtum aus. Da gäbe es den Chatterer. Er klappert ständig mit den Zähnen, was vor allem dadurch betont wird, daß das Fleisch um seinen Mund von Haken weit zurückgezogen wurde, welche selbst durch um seinen Kopf geschlungenen Drähte in Position gehalten werden. Seine Ohren sind abgeschnitten, die Augen ausgestochen und beide Sinnesorganen durch geschwollene Narben verdeckt.

Der zweite im Bunde ist Butterball, ein ehemals sehr fetter Mann, welcher eine Sonnenbrille trägt, die seine miteinander vernähten Augenlider verdecken. Er leckt ständig seine Lippen und befingert eine tiefe Wunde in seinem Bauch.

Auch ein weiblicher Cenobite ist vertreten: Ihr Kehlkopf liegt offen, als ob sie in ihrem vorherigen Leben etwas zuviel geraucht hätte. Ein Nagel ist durch ihre Nase getrieben, welcher mit ihrem Nacken verschnürt ist, wodurch sie nur flüsternd sprechen kann.

Der vierte der Cenobites, ihr Anführer und mittlerweile eine der schillerndsten Kultfiguren des Genres, ist Pinhead. Sein Markenzeichen sind die netzartig in seinen Kopf eingeritzten Linien, an deren Kreuzungspunkten Nägel tief in seinen kahlen Schädel getrieben wurden.

Hört sich das schrecklich an? Nun, in diesem Falle kann man sich ja denken, weshalb es heißt, Clive Barker habe neue Dimensionen des Horrorfilms eröffnet. Die künstlerischen Aspekte dessen, was der Zuschauer zu sehen bekommt, erinnern mich auch stets an die Gemälde eines H.R. Giger; auch er zeigt das Grauen sowie körperliche Qualen und Verstümmelungen in einem passendem künstlerischen Gewand, wodurch man als Betrachter zwar noch schockiert, aber keineswegs abgeschreckt wird. Glücklicherweise war Barker bei diesem visuellen Seiltanz erfolgreich – ein kleiner Ausrutscher und das Ganze hätte zu einem schlimmen Desaster ausarten können und der Film wäre in der untersten Schublade des Splatter- und Goreschunds gelandet, anstelle selbst in Deutschland flächendeckend in den Kinos anzulaufen.

Inszenierung

Es wäre natürlich ein Wunder, wenn Clive Barker hier mit seiner erstem abendfüllenden Regiearbeit ein absolutes Meisterwerk vorgelegt hätte. Der Film hat auch seine Schwächen, welche beim Zuschauer durchaus den Unterschied zwischen Begeisterung und Verachtung ausmachen können.

Das größte Manko des Films ist, daß er in erster Linie nur schockiert. Die Stellen, in welchen der Zuschauer während der 94 Minuten Laufzeit unruhig auf seinem Sitz herumrutscht, kann man an den Fingern einer Hand abzählen; gruselig ist er keinesfalls. Im Gegensatz zu den großen Vertretern des Splatterfilms erfolgt die Schockierung des Zuschauers nicht durchgehend von Anfang bis Ende des Films, sondern plätschert über weite Strecken brav vor sich hin. Ein schockierender Effekt tritt in der Regel beim Zuschauer nicht mehrfach ein, wenn man die gleichen Elemente wiederholt. Und da Hellraiser gleich zu Beginn mit einer ausgesprochen intensiven Szene aufwartet (das Eintreffen der Cenobites bei Franks Überresten), geht die Wirkung späterer vergleichsweise heftiger Szenen (wie der Nagel, der Larrys Hand aufreißt, die abstoßende Wirkung des käferfressenden Penners oder auch jene der Mordszenen) ziemlich den Bach runter.

Das Auftreten des Engineer oder die Verwandlung des Wächters in einen Skelettdrachen am Ende des Films erscheinen hierdurch auch schon eher als lächerlich denn als gruselig. Hier braucht man dann eine Regie, welche auch Kleinigkeiten und ruhigere Passagen interessant gestalten kann. Gerade hier hat Barker seine Schwächen (wer könnte nicht auf Szene wie den Spaziergang von Kirsty und Steve verzichten?).

In dieser Hinsicht hatte Barker Glück (oder es absichtlich so bewerkstelligt), daß das Drehbuch sehr straff geschrieben wurde und, wie von Barker erwartet, herrliche Zitate beinhaltet. Es vergehen kaum fünf Minuten, ohne daß etwas wichtiges in der Handlung passiert, wodurch Längen konsequent vermieden werden. Gerade noch so jedenfalls – es hätte nicht viel gefehlt, damit Pinheads Aussprüche wie „Einige Dinge müssen ertragen werden, denn erst das macht die Freude so süß“ oder „Nicht weinen, Tränen sind eine Verschwendung guten Leidens“ auch auf den ganzen Film hätte angewendet werden können. Und nicht nur das Drehbuch trägt hier bei, auch diverse andere Faktoren spielen mit, die ich gerne erwähnen möchte.

Die Schauspieler

Zuerst wären hier die Schauspieler. Beim Casting wurde ganze Arbeit geleistet. Claire Higgins nimmt man die arrogante und gefühlskalte Schnecke sofort ab, ihre Erscheinung passt erstklassig zum Verhalten von Julia. Als Frank ihr gegen Ende des Films das Messer in den Leib rammt und ihr lasziv sein „Nicht persönlich gemeint, Baby“ ins Gesicht haucht, freut man sich als Zuschauer schon beinahe diebisch, daß es dieses Mistweib jetzt auch erwischt hat. Sean Chapman verkörpert als Frank den absoluten Weiberhelden und Kotzbrocken hervorragend – schon beim ersten Auftreten in einer Dialogszene kann man Frank schon nicht mehr ausstehen. Ashley Laurence (Kirsty) und Andrew Robinson (Larry) verkörpern zwar keine schillernden Charaktere, aber gerade ihre Mittelmäßigkeit in sowohl Schauspielerei als auch Erscheinungsbild machen die Charaktere von durchschnittlichen Menschen wesentlich glaubhafter, als wenn man für die Rolle irgendeine niedliche Tussi verpflichtet hätte, welche aussieht, als ob sie sich ansonsten leichtbekleidet für Babewatch-Serien auf Sandstränden räkelt.

Sarkastische Zeitgenossen könnten sagen, die Schauspieler seien gerade schlecht genug, um sich selbst darstellen zu können und die eigentliche Leistung sei beim Casting erbracht worden. Sie mögen recht haben, letztendlich spielt es jedoch keine Rolle – die notwendige Leistung ist nämlich vorhanden.

Der Sound

Einen weiteren großen Beitrag leistet der musikalische Soundtrack von Christopher Young. Wow. Wenn man bedenkt, daß man es hier letztendlich mit einer relativ kleinen Horror-Produktion zu tun hat, ist man von der Filmmusik äußerst beeindruckt. Kein billiges Synthesizer-Gedudel, sondern volle Orchestrierung wie man es eher bei größeren Produktionen gewohnt ist. Letztendlich handelt es sich in erster Linie um zwei Themen, welche gleichzeitig sehr stimmungsvoll sind (sowohl beruhigend als auch dramatisch) und auch schon einen gewissen Ohrwurmcharakter haben, der ausreicht, um sich nach dem Sehen des Films beim Pfeifen der Titelmelodie zu erwischen. Sie passt sehr gut zum Design des Films – auf der einen Seite ist der Film sehr modern, auf der anderen Seite erscheint er schon als verträumt altmodisch, zum Beispiel das antik wirkende Aussehen der Lament Konfiguration – und wirkt schon beinahe zeitlos; wenn man während des Vorspanns die Musik hört, könnte es sich genausogut um einen Film handeln, welcher im 19. Jahrhundert spielt, wie um einen, dessen Handlung erst in der Zukunft stattfindet. Sehr faszinierender Score, der mit den Werken eines Jerry Goldsmith oder Maurice Jarre natürlich nicht mithalten kann, aber in diesem Genre mehr als ungewöhnlich und durchaus hörenswert ist.

Must-See?

Clive Barker hat hier letztendlich einen Film abgeliefert, welcher den Horrorfilm anno 1987 auf die Spitze trieb, was sowohl das komplette Design als auch die Inszenierung von Gewalt betrifft. Diese beiden Aspekte sind der Dreh- und Angelpunkt des Films, sie machen den Film sehenswert und grenzen den Film von anderen Produktion ab. Auch wenn Barker dem Regiefach eigentlich fremd war (sieht man von einigen seiner frühen Kurzfilmexperimente ab, welcher er in den 70er Jahren mit einer Handkamera veranstaltete) und man dem Film Barkers Mangel an Erfahrung deutlich anmerkt, so erkennt man in diesem Mann durchaus ein großes Potential als Jungregisseur. Wenn man bedenkt, daß sein eigentlicher Beruf Schriftsteller phantastischer Literatur ist, ist man versucht, vor ihm den Hut zu ziehen.

Eine Empfehlung für Hellraiser auszusprechen, gestaltet sich als schwierig. Für Freunde des Horrorfilms und diejenigen, die sich hierfür ein wenig interessieren, gehört der Film zum Pflichtprogramm. Beim normalen Mainstream-Publikum und jenen Filmfreunden, welche modernen Horror primär mit Horror à la Stephen King gleichsetzen oder gar mit der durch die Medien erzeugte Haltung der Öffentlichkeit gegenüber dem bluthaltigen Horrorfilm belastet sind, kann der Film durchaus einen „Aha“-Effekt auslösen – extremere Darstellungen findet man im Kommerzkino eigentlich bis heute noch nicht vor, allerdings bietet Hellraiser einen prima Einstiegspunkt, um die Philosophie hinter der Materie verstehen zu können. Jörg Buttgereit (deutscher Regisseur von Splatterfilmen) bezeichnete das Genre einst als „die purste Form von Anarchie im Kino“. Hellraiser macht diese Anarchie nicht nur offensichtlich, sondern präsentiert sie für jedermann nachvollziehbar in einem durchaus künstlerischen Gewand, was den Film an sich schon empfehlenswert macht. Frei nach dem Motto „Ein Versuch kann nicht schaden“. Dies setzt jedoch voraus, daß man einen solchen Einblick in die Materie überhaupt vornehmen möchte und einigermaßen aufgeschlossen an die Sache rangeht. Wer gorehaltigen Horror nicht leiden kann oder generell als Perversität ablehnt, bekommt von diesem Film natürlich Wasser auf die Mühlen gegossen und wird in seinem Urteil ausgiebig bestätigt werden.

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